Historie
Teil II
Freiherr von Leesen war der Bauherr ... (von 1865 bis 1944)
...
Vermutlich war dieser auch der Bauherr des ursprünglich eingeschossigen
Wohnhauses mit Mansarde gewesen. 1865 kam noch ein Verbindungstrakt
zum Nebengebäude dazu. Bereits am 10. Dezember 1866 verkaufte er
jedoch das Anwesen an der oberen westlichen Seite der „Großen
Leesenstraße“, an der Einmündung zur Reinhardsbrunner
Chaussée. Das Haus trug damals die Nummer 22.
Für das Wohnhaus nebst Garten bezahlte der Schneidermeister Ernst
Heyn damals 5.000 Taler und durfte das Kaufobjekt zum 1. Januar 1867
übernehmen. Heyn wurde am 13. Februar 1810 als zweiter Sohn des
Wagenhalters Johann Cristian Heyn in Gotha geboren und heiratete am
6. Mai 1838 Thekla Franziska geb. Frank (1814-1894). Bis 1866 war er
als Schneidermeister in der „Kleinen Erfurter Gasse“ (seit
1887 Markstraße) 15 tätig. Im neu erworbenen Haus, das 1869
die Hausnummer 24 erhielt, betrieb er ein Café. Im Adressbuch
von 1870 wurde er allerdings nur noch als Rentner erwähnt. 1872
zog er in die „Große Leesenstraße 8“ um und
starb am 30. Juni 1895 an einem Gehirnschlag.
Seine Villa übernahm der Rentner Emil Lomnitz, über den jedoch
nichts Näheres in Erfahrung zu bringen war. Dieser ließ 1873
durch den Zimmerermeister Friedrich Poller einen zweigeschossigen Neubau
entlang der Reinhardsbrunner Straße errichten. Dadurch erhielt
die Villa ihre heutige Dimension als prägendes Eckhaus. 1891 zog
Lomnitz in die gegenüber liegende Reinhardsbrunner Straße
1b, wo sich kurz darauf seine Spur verliert. Er überließ
das Anwesen der Witwe Malwine Eckhardt, geb. Weber, die seit 1889 in
der Parkallee 5 gewohnt hatte. Mit der 1895 erfolgten Umnummerierung
der Reinhardsbrunner Straße erhielt die Villa die heutige Adresse.
1898/1899 ließ die Hausbesitzerin durch die Firma Friedrich Poller
& Sohn den noch heute vorhandenen, eingeschossigen Erkervorbau an
der Westseite und einen zweigeschossigen Anbau mit Terrasse auf der
Südseite errichten. Malwine Eckardt gab ihren Besitz 1905 auf und
zog in die Gartenstraße 32. Neuer Eigentümer wurde Alfred
Cramer mit seiner jungen Familie. Er ließ umgehend einen Umbau
vornehmen, der sich auf einen dreigeschossigen Anbau, einen neuen Eingang,
einen Erker, sowie die Umgestaltung der Fassade beschränkte. Auf
der Startseite dieser Homepage abgebildeten, zeitgenössischen Postkarte
ist die Cramer-Villa nach Abschluss dieser Umbaumaßnahmen zu sehen.
1909 wurde noch ein eingeschossiger Anbau in der Leesenstraße
hinzugefügt, in dem Cramer, der „lange Jahre im Bauwesen
eine führende Rolle“ eingenommen hatte, sein Atelier eingerichtet
hatte. Hier begann also viele Villengeschichten quasi auf seinem
Reißbrett.
Trotz
eines folgenschweren Arbeitsunfalls, bei dem er sein linkes Augenlicht
verlor, nahm seine Karriere in den Folgejahren einen steilen Aufstieg.
Mit den Entwürfen für den Erweiterungsbau der Feuerversicherungsbank,
das Gebäude der „Herzogin-Marie-Stiftung" in der Pestalozzistraße
2, die Ausstellungshalle am Park, das ehemalige Lebensmittelhaus des
Kaufmanns Otto Böhm in der Marktstraße 11 und die ehemalige
Rentsamtskasse hinter Schloß Friedrichsthal - jetzt zur Fachschule
für Bau, Wirtschaft und Verkehr gehörend - wurde Alfred Cramer
in Gotha bekannt. Im Jahre 1907 ließ sich der Ziegeleibesitzer
Robert Friedrichs (1849-1924) in der Schützenallee 12 eine luxuriöse
Villa erbauen, die ebenfalls der Gothaer Architekt Alfred Cramer entworfen
hat. Im Jahre 1908 projektierte und erbaute Alfred in der Justus-Perthes-Straße
das herzogliche Kassengebäude. Zu seinen bedeutendsten Leistungen
gehört die Projektierung der Baugewerbeschule, der heutigen Bauschule
am Trütschlerplatz. Dieses Bauwerk stellt eine Meisterleistung
des ehemaligen Studenten und späteren Lehrers an der Baugewerbeschule,
Alfred Cramer, dar. Der erhabene Jugendstilbau, gestaltet nach den Mustern
des Jugendstils, aber auch mit barocken und klassizistischen Elementen,
prägt seit dem den Trütschlerplatz und bildet gleichzeitig
einen würdigen Abschluss der heutigen 18.März-Straße.
Bei der Einweihung dieses Gebäudes im Oktober 1911 wurde Alfred
Cramer zum herzoglichen Baurat ernannt. In den folgenden Jahren wurden
nach den Entwürfen Cramers die "Viktoria-Adelheid-Pflege"
(ehemaliges Säuglingsheim) in der Schlichtenstraße 12, die
Wohnhäuser Neumarkt 1-3 und Bertha-von-Suttner-Straße 1 und
3 sowie das Gebäude der Ortskrankenkasse in der Lutherstraße
gebaut. 1921 zeichnete der Architekt Alfred Cramer einen „Vorentwurf
zu einem Stockwerksaufbau auf dem Südflügel des Volkshauses
zum Mohren in Gotha". Seit 1925 war er zusätzlich als Kirchenbauinspektor
der Gemeinde Gotha tätig. In der Reinhardsbrunner Straße
wuchsen auch seine beiden Söhne heran. Der bereits erwähnte
Hans wurde kaufmännischer Angestellter, und der 1913 geborene Curt
ebenfalls Architekt.
Alfred
Cramer starb am 24. Juni 1938 nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter
von 65 Jahren in der „Fritz-Sauckel-Straße 10“, wie
die Reinhardsbrunner Straße während der NS-Zeit heiß.
Somit blieb es ihm erspart, mitzuerleben, dass ihm seine beiden Söhne
schon bald folgten sollten. Denn Curt starb 1944 „nach Krankheit
im Osten“, und Hans kehrte aus der Kriegsgefangenschaft nicht
mehr zurück.
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